„Projekt 10/17”
Perpetuum mobile – alles schon mal dagewesen…
Die oberirdische Strecke durch den „Posttunnel” wird seit Anfang der 1990er Jahre – also seit über 25 Jahren! – diskutiert und ist immer wieder Bestandteil ausgedehnter Gutachten- und Entscheidungsprozesse gewesen. Um so verwunderlicher ist allerdings, dass die Region Hannover oder die Landeshauptstadt Hannover die „Posttunnel”-Lösung schon mehrfach verworfen haben.
2013 hat somit die rot-grüne Mehrheitspolitik über eine Maßnahme entschieden, die zuvor schon mehrfach gekippt und deren gravierende Nachteile wiederholt deutlich genannt wurden – z. B. 1990, 1995 und 2009.
1990, Stadt Hannover: „Posttunnel” verworfen, D-Tunnel favorisiert
In der Informationsdrucksache 1561/90 der Landeshauptstadt Hannover vom 13. November 1990, die u. a. in den Bauausschuss ging, wurde der D-Tunnel mit allen Vorteilen favorisiert und die Strecke durch den „Posttunnel” kurz und schmerzlos verworfen. Hier lesen Sie die wichtigsten Absätze dieser Drucksache.
- Durch den Stadtbahntunnel für die Linie D zwischen Braunstraße und Marienstraße können die verkehrlichen Verhältnisse entscheidend verbessert werden. Der Stadtbahnverkehr wird unabhängig vom Oberflächenverkehr und damit weitgehend von Störungen und Behinderungen befreit. Die Fahrzeit zwischen der Haltestelle Glocksee und der Station Hauptbahnhof verkürzt sich um die Hälfte auf 4 Minuten. Der unabhängige Bahnkörper verbessert die Regelmäßigkeit und Pünktlichkeit.
- Durch die Attraktivitätssteigerungen ist sogar noch mit einem Fahrgastzuwachs zu rechnen. Die Umsteigewege an den Verknüpfungsstationen Steintor und Hauptbahnhof werden auf ein Minimum reduziert und sind witterungsgeschützt.
- Eine Verlegung der Linie D in den Tunnel hat positive Auswirkungen auch auf die städtebauliche Gestaltung. Durch die entfallenden Gleiskörper werden in der Innenstadt Flächen frei, die eine großzügigere Gestaltung von Geh- und Aufenthaltszonen zulassen. Ferner können Radwege angelegt werden, die in der Regel nicht schmaler als 1,60 m sind. [...] Die gewonnenen Flächen kommen nicht dem Kraftfahrzeugverkehr zugute. [Es entstehen] Fußwege mit möglichst großer Breite. Dadurch werden die Straßen auch für Passanten, Innenstadtbesucher und Käufer attraktiver.
- Eine verbesserte Oberflächenlösung ist zwar billiger als der Bau einer Tunnelstrecke, bringt aber nur eingeschränkte verkehrliche Verbesserungen.
- Die Verbesserung der Umsteigebeziehungen am Steintor und Hauptbahnhof durch die Tunnelstrecke wird auch von der BIU bestätigt. Sie ist aber bereits so erheblich, daß der kleine Nachteil für Fahrgäste mit Ziel Ernst-August-Platz – gleiches gilt auch für das Gebiet um die heutige Haltestelle Thielenplatz – zumutbar ist.
- Die Tunnellösung ist zwar die teurere Lösung, hat aber entscheidende verkehrliche wie auch städtebauliche Vorteile.
- Eine Änderung des Stadtbahnkonzeptes – z.B. durch Beibehaltung einer letzten Straßenbahnlinie in der Innenstadt an der Oberfläche – ist wegen der bereits fertiggestellten bzw. zur Zeit in Bau befindlichen Stadtbahnlinien mit erheblichen Nachteilen verbunden. Der volle Erfolg für den Stadtbahnbetrieb kann nur dann erreicht werden, wenn das ursprüngliche Konzept, das bis 1993 bereits zum größten Teil verwirklicht sein wird, auch unverändert beibehalten und zu Ende geführt wird. Ohne den Bau der Linie D wäre das verwirklichte Stadtbahnnetz [...] nur ein Torso, da die Umsteigebeziehungen (mehrmaliges Umsteigen, lange Umsteigewege) für bestimmte Relationen unbefriedigend bleiben und die zentrale Erschließung der östlichen Innenstadt sowie die Verbesserung der städtebaulichen Situation und die Attraktivitätsteigerung nicht erreicht werden.
- Als Alternative zum Endpunkt auf dem Bahnhofsvorplatz könnte ferner eine Endhaltestelle auf dem Gelände des ZOB in Betracht gezogen werden. Bei dieser Variante wird die Strecke von der Kurt-Schumacher-Straße durch die Eisenbahnunterführung "Alte Celler Heerstraße" zum ZOB geführt. Die Mitbenutzung der Unterführung durch die Stadtbahn erfordert eine Reduzierung der Verkehrsflächen für die anderen Verkehrsteilnehmer in einem Maße, daß ohne größere Umbaumaßnahmen die Abwicklung des Kraftfahrzeug-, Rad- und Fußgängerverkehrs nicht möglich ist. Für die Erschließung des Ernst-August-Platzes ist eine zusätzliche Haltestelle in Höhe des Hauptpostamtes notwendig. Die Umsteigewege zur unterirdischen Station Hauptbahnhof werden bei einem Endpunkt auf dem ZOB etwas kürzer, dagegen verschlechtern sich die Umsteigebeziehungen zu den OB-Bahnsteigen. Aus verkehrlicher Sicht ist diese Lösung daher nicht vertretbar.
Informationsdrucksache 1561 von 1990
1990, Stadt Hannover: „Posttunnel” verworfen, D-Tunnel favorisiert
In der Informationsvorlage IV/741 vom Kommunalverband Großraum Hannover (Vorläufer der Region) für den Verkehrsausschuss vom 23.08.1995 wird die „Posttunnel”-Lösung gegenüber dem D-Tunnel verglichen. Dabei wurde letztendlich der D-Tunnel favorisiert und die Strecke durch den „Posttunnel” aufgrund zahlreicher Nachteile verworfen. Hier lesen Sie die wichtigsten und für die aktuelle Debatte entlarvendsten Absätze dieser Vorlage.
- Auf der Grundlage mehrerer Gutachten sowie eigener Untersuchungen hält die Verwaltung des Kommunalverbandes unter Abwägung zahlreicher Faktoren die Führung der D-Strecke in einem Tunnel zwischen Goetheplatz – Steintor – Raschplatz – Berliner Allee/Königstraße langfristig für erforderlich, weil er den ÖPNV attraktiver macht sowie die größeren Entwicklungsoptionen für die Stadtentwicklung bietet. Die Verwaltung sieht auch bei einem D-Tunnel kein Verschütten der Optionen für ein ergänzendes oberirdisches Netz. Diese Einschätzung soll mit der hier vorgelegten Informationsdrucksache vorgestellt werden.
- Letztes Jahr bzw. im Frühjahr dieses Jahres hat die ÜSTRA Machbarkeitsstudien in Auftrag gegeben, um die technischen Randbedingungen sowie die verkehrstechnischen Folgen der drei denkbaren Streckenführungen (kurzer D-Tunnel, Posttunnel, heutige Lage) im Detail zu klären.
- Bei der Posttunnellösung treten dagegen erhebliche Behinderungen im Knotenpunkt Ernst-August-Platz/Kurt-Schumacher-Straße auf. Bei Verzicht auf eine Vorrangschaltung ergeben sich im Durchschnitt 90 s Wartezeit für die Stadtbahn. Eine konsequente LSA-Vorrangschaltung für die Stadtbahn führt zu einem nicht abbaubaren Stau des MIV. Eine Verlagerung des MIV auf Ausweichrouten ist nicht möglich, da die benachbarten Knotenpunkte Steintor/Münzstraße, Celler Straße/Herschelstraße und Hamburger Allee/Celler Straße sich bei Unterbrechung des Durchgangsverkehrs am Ernst-August-Platz bereits unter Zugrundelegung der heutigen Verkehrsmengen an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit befinden. Weitere Verkehre können von diesen Knotenpunkten nicht mehr aufgenommen werden.
- Aus verkehrstechnischer Sicht sind beide Posttunnelvarianten mit den heutigen Verkehrsmengen und dem geplanten Verkehrskonzept der Bauverwaltung nicht vereinbar. Die heutige Streckenführung ist dagegen auch nach Sperrung der MIV-Durchfahrt am Ernst-August-Platz verkehrstechnisch abwickelbar.
- Nach Auffassung der Verwaltung steht für die Regionalentwicklung mit der Vollendung des Stadtbahnnetzes (mit den in der Innenstadt unterirdisch verlaufenden Strecken A, B, C und D) sowie dem Aufbau des S-Bahn-Netzes ein in sich schlüssiges Konzept zur Verfügung.
- Die Investitionskosten sind naturgemäß bei der Tunnellösung höher, ebenso die Kosten für die Instandhaltung der Tunnel- und Stationsanlagen. Dagegenzurechnen sind Vorteile der Tunnellösung infolge geringerer Instandhaltungskosten für den Fahrweg sowie der niedrigeren Kosten für den Fahrbetrieb.
- Die Verwaltung vertritt dagegen die Auffassung, daß zumindest GVFG- und ergänzende Landesmittel auch nach dem Jahr 2000 in einer Größenordnung zur Verfügung gestellt werden können, die den Bau des D-Tunnels ermöglichen würden. Diese Einschätzung ist von Vertretern des Landes bislang stets geteilt worden.
- Der Qualitätsstandard ist bei der Tunnellösung ein anderer, wenn man mit 70 km/h durch den großzügig trassierten Tunnel fährt, im Gegensatz zu einer Fahrt mit 25 km/h in engen Kurven mit häufigen Beschleunigungs- und Bremsvorgängen. Das System ist pünktlicher und damit attraktiver, was sich bis zur Anschlußsicherung der Buslinien am Stadtrand auswirkt. Dieser Aspekt ist für die verkehrliche Erschließung der Gesamtregion außerordentlich wichtig. Ein Stadtbahnbetrieb, z. B. durch eine verkehrsberuhigte Kurt-Schumacher-Straße, ist nicht nur langsamer, sondern auch gefährlicher für Fußgänger wie für Fahrgäste, die bei plötzlichen starken Bremsungen stürzen können.
- Durch das Abtauchen der Stadtbahn im Innenstadtbereich in einen Tunnel werden ebenerdig Flächen frei, die der städtebaulichen Weiterentwicklung sehr nützlich sind. […] Der Tunnelbau ist Initialzündung für Umgestaltung und Privatinvestitionen.
- Die Tunnelvariante wird sich eher durchsetzen lassen als eine oberirdische Führung, die Restriktionen für alternative Nutzungen erzwingt, die oftmals langwierige Diskussionen mit Interessengruppen nach sich ziehen. Durch den Entfall der oberirdischen Strecken können die Flächen alternativen Nutzungen zugeführt werden. Bei der oberirdischen Variante können Störungen nicht ganz ausgeschlossen werden, Planungen für einen Ausbau bzw. Neubau von Streckenabschnitten dürften auf größere Widerstände stoßen und nur bei entsprechenden Restriktionen für den Kfz.-Verkehr zu realisieren sein.
- Aus den genannten Gründen vertritt die Verwaltung die Auffassung, daß sich die zusätzlichen Investitionen für die Tunnelstrecke lohnen. Dies belegen auch das Intraplan-Gutachten "Schnellbahnkonzept Hannover 2010" und das Haas/TransTeC-Gutachten "Bewertung von Stadtbahnvarianten zur Erschließung des Kronsberges". Ein Argument der langfristigen regionalen Entwicklung wird häufig zu gering bewertet. Der Hauptbahnhof der Landeshauptstadt Hannover hat eine doppelte Funktion: einerseits erschließt er die Innenstadt Hannovers, andererseits besitzt er aber auch durch seine zentrale Lage in der Nord-Süd- und West-Ost-Achse als bisher nicht überlasteter Wirtschaftsraum erhebliche Entwicklungschancen als Standort tertiärer Aktivitäten. Es gilt, den Vorsprung auszubauen. Unsere Fernverkehrsbedienung (Hannover hat die meisten ICE-Abfahrten) und Fernverkehrslage zwingt uns alles zu tun, um die am Hauptbahnhof an- und abfahrenden Reisenden möglichst schnell von und auf andere Verkehrsträger (ÖPNV, Taxi, IV) überzuleiten. Hierzu zählt vor allem ein attraktiver Knotenpunkt des ÖPNV, den wir nur mit der Vollendung des D-Tunnels für alle Himmelsrichtungen bieten können.
- Die Verwaltung vertritt die Auffassung, daß eine Neubaustrecke durch den Posttunnel aufgrund der vorangegangenen Argumentationen als Langfrist-Lösung ausscheidet. Ebenso ist diese als Zwischenlösung nicht akzeptabel, da sie aus Sicht des ÖPNV außer einer besseren Verknüpfung mit den Stadtbahnlinien der A- und B-Strecke am Raschplatz nur Verschlechterungen gegenüber einem Ausbau der heutigen Streckenführung aufweist: größere Störanfälligkeit und geringere Pünktlichkeit, […] schlechterer Fahrkomfort durch eine größere Anzahl von engen Kurven.
- In der Abwägung der oben aufgeführten Einzelargumente spricht sich die Verwaltung für den Bau der D-Strecke im Tunnel als langfristiges Ziel aus. Da die Tunnellösung voraussichtlich erst in den ersten Jahren nach der Jahrtausendwende realisiert werden kann, muß bis dahin eine Zwischenlösung realisiert werden. Aufgrund der negativen Auswirkungen der Posttunnellösung auf den IV und der im Vergleich zum Ausbau der Nullvariante (Thielenplatz) höheren Investitionskosten von 40 Mio. zu 8 Mio. DM schlägt die Verwaltung vor, als Zwischenlösung die heutige Streckenführung über den Thielenplatz auszubauen.
Informationsvorlage IV/741 von 1995
2009, Region Hannover: Straßenbündige Strecke verworfen, D-Tunnel favorisiert
Dem Intraplan-Gutachten, das im November 2009 dem Verkehrsausschuss vorgestellt wurde, haben wir ja eine eigene Rubrik gewidmet. Nach der Vorstellung des Gutachtens gab es mehrere bemerkenswerte Ansichten des damaligen Verkehrsdezernenten Herrn Dr. Martensen. Denn die heute ständig in der Kritik stehenden Planungen zur Oberflächenstrecke der D-Linie wurden de facto schon im November 2009 (erneut) verworfen. Die wichtigsten Aussagen werden nun zitiert, diese kann man dem heute noch einsehbaren Protokoll des Verkehrsausschusses entnehmen.
- Herr Dr. Martensen dankt Herrn Mann für die komplexen Informationen und zieht ein kurzes Resumée aus Sicht der Verwaltung. Völlig ausgeschlossen sei seiner Ansicht nach der Fall, der einen Fehlbetrag erwirtschafte und darüber hinaus ein Investitionsvolumen von 30,4 Mio. Euro für eine oberirdische Variante seitens der Region Hannover erfordere, die in etwa soviel Aufwand produziere wie etwa eine Tunnellösung.
- Um insbesondere die respektablen und nachvollziehbaren städtebaulichen Interessen der Landeshauptstadt Hannover zu berücksichtigen (kein eigener Bahn-/Gleiskörper) sei diese Variante ebenfalls nicht nachverfolgenswert, so dass sich nur noch die Frage stelle, ob man auf der politischen Ebene den Mitfall 1 (Tunnel) oder den Mitfall 2 in Best case (eigener Bahnkörper) vorantreiben wolle. Die Landeshauptstadt Hannover habe sehr deutlich gemacht, dass die Oberflächenvariante mit besonderem Bahnkörper für sie ein „No go“ sei und somit auch die Best case-Variante in sich zusammenfalle.
- Damit hätte man nur noch den Mitfall 1, nämlich die Tunnelvariante, die man dann favorisieren müsse.
Diese Aussagen finden sich im Protokoll des Verkehrsausschusses vom 24. November 2009. Danach wurden in dieser Sitzung der D-Tunnel als auch eine Oberflächenstrecke mit straßenbündigen Gleisen – faktisch also die heutigen Pläne – abgelehnt.